Sharewise-Sentiment, US-Rettungspaket nicht auf Finanzbranche fokussiert

 

 

SENTIMENTDATEN
Stand 14.11.

ANALYSTEN     Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen) Kaufen Verkaufen September (781) 60% 40% Oktober (541) 57% 43% November (180) 50% 50% Häufigste Kaufempfehlung Häufigste Verkaufsempfehlung Fresenius Medical Care Beiersdorf AG ENI S.P.A. MLP AG MITGLIEDER:   Häufigste Kaufempfehlung  Häufigste Verkaufsempfehlung Porsche Volkswagen Premiere BMW Bullen/Bären Index   Aktuell 50% Bullen (-7%)   Tief war Anfang Oktober, bei 41% Bullen  

 

Hank Paulson, der US-Finanzminister, vollführt einen Drahtseilakt. Erst boxt er ein 700 Mrd. USD schweres Rettungspaket zur Hilfe der Finanzmärkte durch und nun möchte er die Mittel auch zur Unterstützung anderer Branchen nutzen. Ungeachtet der Kritiker, die vielleicht eine alleinige Hilfe der Finanzbranche schlecht fanden, so läuft Paulson nun zusätzlich Gefahr, treue Weggefährten zu verprellen. Paulson ist unberechenbar.

Das, was dem Finanzmarkt fehlt, ist Verlässlichkeit. Diese geht jedoch verloren, wenn Paulson nun die Bestimmung der 700 Mrd. USD kurzerhand umdefiniert.

Auf der anderen Seite hat er gute Gründe für seinen Gesinnungswandel: Eine Rezession steht ins Haus und nicht nur die Finanzbranche, sondern auch die Wirtschaft benötigt dringend Hilfe.

Allen voran die Automobilbranche. Vor zwei Wochen habe ich vor General Motors Anleihen gewarnt, heute stehen sie 40% tiefer. Die Deutsche Bank hat diese Woche ein neues Kursziel für die GM Aktie ausgegeben: 0,- US-Dollar! GM ist pleite, kann aber noch nicht zum Insolvenzrichter, denn zu viele Jobs stehen auf dem Spiel.

Bush zeigt sich noch hart: Mit dem 25 Mrd. USD Kredit, der vor einigen Wochen zugesagt wurde, muss es genug sein. Doch Paulsons Gesinnungswandel ist für mich ein Zeichen dafür, dass der Finanzminister die Zeichen der Zeit erkennt: Eine Pleite von GM wäre mindestens ebenso verhängnisvoll wie die Lehman- Pleite. Nicht nur bei GM gehen dadurch Arbeitsplätze verloren, sondern ein Fünffaches davon in den Zulieferern und Dienstleistern der Branche. Und dann ist da noch GMAC, der Finanzierungsarm, an dem GM noch immer beteiligt ist.

Der Aktienkurs von GM steht bei nur noch 3 US-Dollar. Oder sollte ich vielleicht sagen: Der Aktienkurs steht noch immer bei 3 US-Dollar. Da ist noch immer ein Kursverlust von 100% möglich. Was unterscheidet die Aktie von den Unternehmensanleihen, die derzeit auf 40% ihres Rückzahlungswertes gehandelt werden? Die Anleihen würden, wenn sie ordentlich zurückgezahlt werden, eine Rendite von 75% p.a. bringen. Das sind Werte, wie sie nur für ein Pleiteunternehmen gelten können.

Und die Aktie auf der anderen Seite: Bevor auch nur ein Euro der Anleihen nicht zurück gezahlt wird, gehen die Aktionäre leer aus. Wenn also die Anleihen schon die Katastrophe einpreisen, warum steht die Aktie dann noch nicht auf Null?

Bei Ford und Chrysler sieht es nicht viel besser aus. Obama ruft schon nach Hilfen, die er jedoch an Investitionen für umweltfreundlichere Technologien knüpfen möchte. Bush stellt sich derzeit auf stur und Paulson bereitet einen Gesinnungswechsel vor. Die Automobilbranche kann nicht sich selbst überlassen werden. Doch für welchen Preis? Ich würde nicht auf die Aktien von GM setzen. Auch die Anleihen sind mir zu riskant. Es wäre nicht das erste Mal, dass solche Papiere wertlos verfallen.

Doch der Schwenk von der Finanz-, allein auf die Autobranche wird nicht reichen. Es kriselt überall, auch die ersten Einzelhändler sind inzwischen pleite gegangen: Circuit City hat die Insolvenz nach Chapter 11 beantragt. Mit einem Milliardenkredit kann der Geschäftsbetrieb nun aufrecht erhalten bleiben, während das Unternehmen nun das Recht hat, Verträge aufzukündigen, um wieder profitabel zu werden.

Also auch die Einzelhandelsbranche. Wenn Paulson dort eingreifen will, dann muss er auch Bestbuy, RasioShack, Target und CompUSA helfen. Und diese Unternehmen haben nichts mit der Immobilienkrise zu tun. Aber es bleibt nicht auf Technik- Geschäfte beschränkt: Heute warnten Discounter Penney sowie Kleidungsverkäufer Abercrombie vor Umsatzeinbrüchen im Oktober.

Bei alledem vermisse ich noch immer die Hiobsbotschaften aus dem Immobiliensektor: Noch keiner der großen Bauunternehmen ist pleite gegangen: Pulte, DR Horton, Toll Brothers, KB Home, Hovnanian und Centex bauen allesamt noch neue Häuser, obwohl Schätzungen zufolge mit 18 Mio. leerstehenden Häusern noch nie so viele Häuser verfügbar waren.

Wie sollen sich die Preise des Immobilienmarktes stabilisieren, wenn noch immer eine Flut von Häusern verfügbar ist? Wann wird Paulson auf diesem Markt eingreifen?

Na, vielleicht bevorzugt er es, dem Einzelhandel auch in dieser Branche zu helfen: Costco, The Home Depot und Lowe's Companies sind Baumärkte und Anbieter von Möbeln, die zwar kräftig gelitten haben, aber in einer Rezession noch schwerer getroffen würden.

Haben Sie sich schon mal vor Augen gehalten, welche Auswirkungen der Boeing-Streik der vergangenen Wochen haben wird: Eine gesamte Industrie liegt brach und aus wettbewerbspolitischen Gründen darf Paulson hier nicht eingreifen: Sofort gebe es eine Klage von Airbus wegen Wettbewerbsverzerrungen durch politische Hilfen.

Also: Zuerst hatte Paulson 700 Mrd. US-Dollar beantragt, ohne mitteilen zu wollen, wofür er das Geld ausgeben möchte. Es wurde ihm nicht gestattet, stattdessen verpflichtete man ihn zu einer verlässlichen Aussage, wie er die Krise bekämpfen wolle.

Nun, er wurde also auf die Finanzbranche beschränkt, weil diese zum damaligen Augenblick die Branche war, die am meisten Hilfe brauchte. Doch nun, wo sich die Krise ausweitet, kommt er erneut an die Öffentlichkeit und beantragt die Verwendung des 700 Mrd. USD Rettungspakets für �andere" Zwecke, als damals festgelegt. Wieder kann er sich nicht festlegen, wofür er die Mittel verwenden will. Wieder hat er kein Konzept zur Bekämpfung der Krise, sondern wünscht sich nur noch mehr Spielraum, um auf die Katastrophen flexibler reagieren zu können.

Das spricht nicht für Glaubwürdigkeit. Wir wollen einen Finanzminister, der agiert, nicht reagiert. Paulson muss einen Plan vorlegen, der Wege aus der Krise, aus der Rezession, aufzeigt. Doch dazu ist er offensichtlich nicht in der Lage.

Es bleibt beim Verschlimmbessern.

 

take share, Ihr Börsenschreibel
 
Stephan Heibel