Web 2.0 für Banken: Ungenutzte Potentiale und New Business Solutions

Die Finanzbranche befindet sich in einem permanenten Umbruch. Während sich die Debatte der letzten Monate vorwiegend um die Konsequenzen aus der Finanzkrise und das enge Korsett einer neuen Finanzordnung dreht, hat unter den Stichworten «Web 2.0-Banking» und «New Business Solutions» eine vielversprechende Entwicklung Fahrt aufgenommen.

Besondere Merkmale dieser Entwicklung sind die Nutzung sogenannter Social-Web-Technologien in der Kommunikation und vor allem eine erweiterte Philosophie im Umgang mit Kunden. Diese zeichnet sich durch offene und gleichberechtigte Kommunikation, hohe Transparenz über Leistungen und Gegenleistungen sowie Einbeziehung der Kunden in den Leistungsprozess aus.

Immer mehr Dienstleister versuchen derzeit, mit diesen Ansätzen in das angeschlagene Vertrauensverhältnis zwischen Banken und Kunden einzudringen. Diese Entwicklungen werden oft unterschätzt, weil die meisten Finanzentscheider der Generation 40+ angehören und den neuen Instrumenten skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Finanzhäuser sollten aber nicht übersehen, dass die stark wachsende Gruppe der «Digital Natives» zunehmend in Entscheiderpositionen Platz nehmen wird.

Durch das Aufwachsen mit dem «Netz» erwartet diese Generation eine ganz andere Form der Information und Kommunikation. Verschlossenheit, Intransparenz und mangelnde Einbeziehung werden zu einem Ausschlusskriterium und als Schwäche gewertet. Dabei bietet eine sorgsam geplante und dosierte Annäherung an die neuen Möglichkeiten erhebliche Chancen.

Inhaltlich geht es aber nicht darum, wie häufig zu lesen ist, die bisherige Kommunikation um neue Kanäle zu erweitern. Viele Häuser meinen, es reiche, wenn man seine Botschaften über Twitter und Facebook zusätzlich verteile. Dies ist nicht ausreichend, weil
so für traditionelles Kommunikationsverhalten nur neue Kanäle eingesetzt werden.

Der Schritt in die neue digitale Welt bedarf vielmehr einer sorgfältigen Vorbereitung. Der Grad an Offenheit, die «kreativen» Module und Kanäle sowie die Beteiligung der Mitarbeiter müssen der Kultur und dem tatsächlichen Bedarf des Unternehmens und seiner sich
wandelnden Zielgruppen entsprechen.

Neben einer schon fast zur Pflicht gehörenden angepassten Kommunikationsstrategie, könnten einzelne Leistungen «2.0-fähig» gemacht werden. Dazu sind bisherige Produkte darauf zu überprüfen, ob und welche Funktionen modifiziert oder gar durch 2.0-
Komponenten ersetzt bzw. ergänzt werden können. Bereits jetzt existieren Lösungsansätze, die klassische Intermediationsfunktionen von Finanzhäusern ausschalten. Genannt seien hier das Peer-to-Peer-Prinzip bei der Kreditvergabe
und die Eigenkapitalfinanzierung 2.0 (wie z.B. das Crowd Funding für Startups) oder Vorhersagemärkte, die oft mit besseren Prognosen glänzen als «Experten».

Konkrete Ansatzpunkte bietet gerade die Vermögensverwaltung. Immer weniger Anleger sind hier bereit, ihr Geld einer «Black Box» anzuvertrauen. Investoren wollen verstärkt wissen, wie und wo konkret ihre Gelder zu welchen Preisen und Kosten investiert werden. Technisch ist die erhöhte Transparenz z.B. durch einen Drill Down auf Einzelpositionen und –transaktionen möglich und wird im institutionellen Umfeld schon lange praktiziert. Im privaten Vermögensmanagement wird sie immer noch unzureichend umgesetzt. Fast schon revolutionär für die Finanzbranche muten Ansätze an, einen offenen Dialog etwa über Internetforen zwischen (potentiellen) Anlegern und Fondsmanagement zu implementieren.

Aktuell besteht zwar (noch) keine Notwendigkeit, in hektischen Aktionismus zu verfallen und jedem Hype zu folgen. Wir wissen aber aus der Praxis, dass Häuser, die sich einen Wettbewerbsvorteil versprechen, mit dem Umdenken in Richtung «Banking 2.0» längst begonnen haben. Gleichwohl mangelt es am Nachweis vorzeigbarer Erfolgsbeiträge. Doch wer warten will, bis die ersten auf den neuen Trend setzenden Institute ihren Wertbeitrag-2.0 schwarz auf weiss nachweisen, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät
starten.

«Banking 2.0» steht erst am Anfang einer Entwicklung und ist ein «Work in Progress». Diese Entwicklung mag einigen Finanzhäusern, die Intransparenz und Verschlossenheit als heiligen Gral pflegen, nicht gefallen; ignoriert werden kann die Entwicklung aber nicht mehr. Gerade für die vertriebs- und nicht dialogorientierte Finanzbranche überwiegen aber bei sorgfältiger
Vorbereitung die Chancen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich im Schweizer Anlegermagazin Private, Heft 4/2010 erschienen und kann hier als pdf geladen werden.

Banker, die das Thema vertiefen wollen, findet in “Web 2.0 für die Finanzbranche” ein praxisorientierte Motivation, sich konkret mit dem Web 2.0 zu befassen. Hier außerdem eine Übersichtseite mit Trends im Banking 2.0.


Quelle: Blicklog